Zwei Kliniken, ein Team

Im ersten universitären Zentrum für Hämatologie und Onkologie der Schweiz arbeiten Spezialisten beider Disziplinen eng zusammen. Der intensive Austausch im klinischen Alltag verbessert die Therapie von Patienten mit Krebserkrankungen. Auch die Ärzte in Ausbildung profitieren davon.

Mittwoch, 17.00 Uhr, ein schlichter Raum in der Pathologie, der Beamer läuft. In den Tischreihen sitzen Ärztinnen und Ärzte in ihren weissen Kitteln. Man trifft sich zum wöchentlichen Tumorboard, um Fälle von Krebspatienten zu diskutieren. Fälle wie den von Andrea B., 30, berufstätig, verheiratet. Sie ging zum Arzt wegen Schmerzen im Oberbauch, saurem Aufstossen und Übelkeit. Als Schwitzen und häufiges Erbrechen dazukamen und sie stark an Gewicht verlor, wurde eine Magenspiegelung gemacht. Dabei stellte sich heraus, dass der Grund für die Beschwerden ein Magenlymphom ist, eine Krebserkrankung der Magenschleimhaut.

Im Tumorboard geht es darum, die passende Behandlung zu finden. Ein Nuklearmediziner projiziert das Bild der PET-CT, einer Bildgebung mit radioaktiven Substanzen. Fast der gesamte Bauchraum erscheint im Bild schwarz. «Fortgeschrittenes Magenlymphom mit Befall von Darm und Lunge», sagt der Hämatologe. Die behandelnden Ärzte diskutieren mit den Pathologen und den Radiologen und stellen anschliessend die definitive Diagnose. Danach entscheiden sie, welche Therapie für die Patientin optimal ist.

Die geballte Kompetenz schlägt sich auch in den Ärztezahlen nieder: Am Zentrum arbeiten 28 Kaderärzte und 27 Assistenzärzte.

Rapport am Morgen

Weil die Klinik für Hämatologie und die Klinik für Onkologie seit Jahresbeginn ein gemeinsames Zentrum bilden, finden dort täglich Diskussionen unter Spezialisten statt. Bei den Rapporten über Notfälle, Eintritte und Austritte sind nun stets beide Disziplinen vertreten: Hämatologen, die sich mit Erkrankungen im Blut- und Lymphgefässsystem auskennen, und Onkologen, die sich um Patienten mit Tumoren in «soliden» Organen wie Lunge, Brust oder Prostata kümmern. Die geballte Kompetenz schlägt sich auch in den Ärztezahlen nieder: Am Zentrum arbeiten 28 Kaderärzte und 27 Assistenzärzte.

Selbstverständlich haben sich die Hämatologen und Onkologen auch früher schon ausgetauscht, im Rahmen von Tumorboards oder Weiterbildungen. Doch am besten funktioniert die Zusammenarbeit, wenn man sich im Berufsalltag regelmässig trifft: «Wir kennen uns jetzt besser, das macht Gespräche einfacher», sagt Dr. Alexandre Theocharides, Oberarzt Hämatologie. «Die Wege sind viel kürzer und in den morgendlichen Besprechungen erfahren wir quasi von selbst, was in der anderen Disziplin der aktuelle Standard einer Behandlung ist», sagt Dr. Christian Britschgi, Oberarzt Onkologie.

Cancer Center Zürich

Alle Tumorzentren des UniversitätsSpitals Zürich sind im Cancer Center Zürich vertreten. Hier finden wöchentliche Tumorboards aller Disziplinen statt, in denen Diagnose und Therapie ausgewählter Patientenfälle – auch externer Kliniken und niedergelassener Ärzte – besprochen werden. Das Cancer Center organisiert die interdisziplinären Tumorkonferenzen und dokumentiert die Patientendaten. Es lädt interne und externe Ärzte regelmässig zu Fort- und Weiterbildungen ein.

Wieso entarten Zellen?

Tatsächlich gibt es gute Gründe, die beiden Fachgebiete unter einem Dach zu vereinen. Viele Fragen treiben die Spezialisten gemeinsam um: Wieso entarten Zellen zu Krebszellen? Wie kann man möglichst schnell und sicher diagnostizieren, um welchen Krebstyp es sich handelt? Die genaue Diagnose hat Konsequenzen für die Therapie – auch hier gibt es Überschneidungen: Beide Disziplinen verabreichen Zytostatika, die Krebszellen schädigen oder im Wachstum hemmen. Sie behandeln mit Antikörpern, mit Inhibitoren (siehe Box «Neue Immuntherapie»), und immer häufiger mit individualisierten, auf genetischen Markern basierenden Arzneimitteln. Gelegentlich kommen dieselben Medikamente sowohl bei Lymphomen oder Myelomen (siehe Box) wie auch bei soliden Tumoren zum Einsatz. Mit den Wirkungen gleichen sich auch die Nebenwirkungen – ein weiteres Thema, über das sich Hämatologen und Onkologen fachlich austauschen können.

In der Patientenverwaltung und in der Forschung arbeitet man bereits zusammen: Die Hämatologen übernehmen die von den Onkologen entwickelte Patienten-Datenbank, umgekehrt profitieren die Onkologen beim Aufbau einer Biobank mit Plasma und Serum vom Wissen der Kollegen. Auch räumlich wächst man zusammen: Ambulante Therapien werden ab Mitte Jahr in einer gemeinsamen Tagesklinik stattfinden. Eine gemeinsame Ambulanz im Rämitrakt des USZ erspart den Patientinnen und Patienten die langen Wege durch die Klinikflure und ermöglicht effizientere Abläufe von Untersuchungen.

15 statt 60 Warteminuten

Kommt heute ein Patient im Rahmen der Nachsorge zur Blutentnahme in eine der beiden Kliniken, muss er bis zu einer Stunde warten, ehe er mit dem Arzt sprechen kann. Denn seine Blutprobe muss zuerst mittels Rohrpost ins Diagnostiklabor, wo alle Blutproben des Spitals ankommen. Vom Labor muss das Ergebnis wieder zurück zur Ambulanz. Das kann dauern. «An manchen Tagen bilden sich lange Schlangen auf den Fluren», sagt Hämatologie-Oberarzt Alexandre Theocharides. Die neue, gemeinsame Ambulanz soll nicht nur leichter erreichbar sein. Sie soll auch über ein Analysegerät verfügen, das schnell ein Blutbild liefern kann. Aus 60 Warteminuten sollen dann maximal 15 werden.

 

 

Bei aller Gemeinsamkeit gibt es doch Grenzen: Die Behandlung von Patienten mit Leukämien, Lymphomen und Myelomen liegt ausschliesslich in den Händen der Hämatologen, während die Onkologen für die soliden Tumoren zuständig sind. «Jede Fachdisziplin hat in klinischen Leitlinien geregelt, wie bei der Diagnostik und Therapie vorzugehen ist», sagt Dr. Theocharides. Je standardisierter die Abläufe sind und je grösser die Erfahrung der Ärzte ist, umso besser ist die Qualität der Behandlung. In vielen Fällen genügt das Expertenwissen einer Disziplin. Manchmal sind zeitlich versetzt beide gefragt.

Leukämien, Lymphome, Myelome

Leukämien, Lymphome und Myelome sind bösartige Erkrankungen des blutbildenden und lymphatischen Systems, zu dem das Knochenmark, die Lymphknoten und die Milz zählen. Am UniversitätsSpital Zürich werden jedes Jahr rund 250 dieser Erkrankungen neu diagnostiziert und über 400 Patientinnen und Patienten behandelt. Blut- und Lymphdrüsenkrebs kann man nicht operativ entfernen. Therapiert werden die Erkrankungen meist mit Chemo-, Immun-, molekularer und/oder Strahlentherapie, die wenn möglich ambulant in der Tagesklinik erfolgen. Stammzelltransplantationen, auf die das USZ spezialisiert ist, erfordern einen mehrwöchigen stationären Aufenthalt.

Stammzellen nach Krebstherapie

Hans S., 63, erkrankte 2010 an Prostatakrebs. Nach mehreren Bestrahlungszyklen galt er als geheilt. Anfang 2017 meldet er sich in der onkologischen Sprechstunde an. Er hat starke Schmerzen in Schulter und Hüfte, Schmerzmittel bringen kaum Linderung. Hans S. wird mit Verdacht auf Metastasen mit dem PET-CT untersucht. Die Nuklearmediziner finden keine Metastasen in den Knochen, sondern Knochen, die sich auflösen. Die sogenannte Osteolyse ist typisch für eine Myelomerkrankung. Die Hämatologen übernehmen die Behandlung von Hans S. Die Onkologen klären begleitend ab, ob die ursprüngliche Tumorerkrankung in der Prostata wieder aufgeflammt ist.

Die Hämatologen empfehlen eine radikale Therapie: vier Zyklen Chemotherapie, bei der fast alle Krebszellen vernichtet werden, gefolgt von einer autologen Stammzelltherapie. Dabei werden dem Patienten seine eigenen, zuvor entnommenen Blutstammzellen wieder transplantiert. «Wir machen die Therapie bei fitten Patienten, weil sich gezeigt hat, dass sie länger überleben, ohne erneut zu erkranken», sagt Alexandre Theocharides.

Neben der Transplantation eigener Blutstammzellen ist das USZ als eines der wenigen Zentren in der Schweiz auch auf die allogene Blutstammzelltransplantation spezialisiert, bei der Zellen eines geeigneten Spenders übertragen werden. Zum Einsatz kommt die Therapie vor allem bei Leukämien oder wenn eine Lymphom- oder Myelomerkrankung sehr aggressiv verläuft. Blutkrebs kann wie Lymphdrüsenkrebs Jahre nach der erfolgreichen Behandlung eines soliden Tumors, etwa in der Brust, auftreten. Umgekehrt kann auf den Blutkrebs ein solider Tumor folgen. «Wir sehen hier alle Varianten von Krebserkrankungen», sagt Onkologie-Oberarzt Christian Britschgi.

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Wir Ärztinnen und Ärzte tauschen unser Wissen aktiv aus. Unsere Patientinnen und Patienten erhalten so die beste Therapie.»
Dr. Antonia Maria Müller, Oberärztin in der Hämatologie

Ein Zentrum, zwei Facharzttitel

Das breite Wissen, über das die Experten des Zentrums verfügen, nutzt indes nicht nur den Patientinnen und Patienten. Auch die Ärzte in Weiterbildung profitieren davon, dass sie gleichzeitig Einblick in zwei Disziplinen bekommen. Für die Assistenzärzte sei dies ein «Riesenvorteil», findet Christian Britschgi. Mit den zwei Kliniken unter einem Dach werde es künftig viel leichter, beide Facharzttitel zu erwerben. «Das Unispital wird dadurch für junge Ärzte noch attraktiver.»

Andrea B., die junge Frau mit dem fortgeschrittenen Lymphom, tritt am Montag ihren Klinikaufenthalt an. Auf sie wartet eine intensive Chemotherapie, für die sie sich immer wieder in die Klinik begeben muss. Danach, so die Hoffnung der Ärzte, erholen sich die Schleimhäute von Magen, Darm und Lunge und die Blutwerte normalisieren sich.

«
Das Unispital wird dadurch für junge, angehende Ärzte noch attraktiver.»
Christian Britschgi

Neue Immuntherapie und Präzisionsmedizin

Checkpoint-Inhibitoren sind ein neuer Ansatz in der Behandlung von Krebserkrankungen. Die Medikamente wirken nicht gegen die Krebszellen direkt, sondern indem sie von den Krebszellen blockierte Immunzellen aktivieren. Tumoren können dann von den Immunzellen erkannt und zerstört werden. Die ersten Checkpoint-Hemmer kamen bei fortgeschrittenem schwarzen Hautkrebs (malignes Melanom) zum Einsatz. Inzwischen sind sie auch für die Therapie anderer Krebsarten sowie im Rahmen von Studien verfügbar.

Durch genetische Untersuchungen von Tumoren lassen sich häufig zelluläre Signalwege identifizieren, die in den Tumorzellen gestört sind. In einigen Fällen können diese gezielt medikamentös angegangen werden; man spricht dann von «personalisierter Medizin» oder «Präzisionsmedizin». Im Zentrum für Hämatologie und Onkologie kommen massgeschneiderte Medikamente bei Patienten zum Einsatz, bei denen die Standardtherapien versagt haben.

«Innovation und Zuwendung»

Forschung und Behandlung sollen noch besser und effizienter, die Betreuung von Patienten persönlicher werden, sagt der Leiter des neuen Zentrums.

Was waren die Gründe, die beiden Kliniken zusammenzuführen?

Sowohl die Hämatologie wie die Onkologie beschäftigen sich mit Tumoren. In der Diagnose und Behandlung gibt es viele Überschneidungen, was sich in der Aus- und Weiterbildung niederschlägt. Auch die Zusammenarbeit mit Radiologen, Pathologen und Nuklearmedizinern können wir optimieren. Das kommt letztlich dem Patienten zugute.

Was ändert sich konkret für den Patienten?

Die Versorgung bleibt auf dem gleichen exzel­lenten Niveau. Sobald wir eine gemeinsame Ambulanz und Tagesklinik haben, wird es für den Patienten spürbar bequemer.

Was ist mit neuen Therapien?

Wir behandeln unsere Patienten schon heute nach den neusten Standards und mit den neusten Therapien. Indem wir nun gemeinsam klinisch forschen, sollten unsere Patienten noch leichter Zugang zu innovativen Therapien finden.

Ist innovativ gleich individualisiert?

Ja, in dem Sinn, dass sich der Patient rundum gut versorgt fühlt. Schon heute können Patienten mit fortgeschrittenen Krebserkrankungen über längere Zeit ordentlich leben. Das bedeutet auch, dass sie sich von einer Klinik und ihren Ärzten nicht nur optimale medizinische Versorgung wünschen, sondern auch Zuwendung.